Atlantis. Neue Betrachtungen zu einer platonischen Utopie

Vortrag von Tobias Hirsch mit anschließender Diskussion

Die in den platonischen Dialogen Timaios und Kritias beschriebene Stadt Atlantis dient neuzeitlichen Künstlerinnen und Künstlern als Inspirationsquelle und Sehnsuchtsort. Im Gegensatz hierzu interpretiert die neuere Platonforschung Atlantis als dekadentes Gegenmodell zu dem am Staatsentwurf der Politeia orientierten Ur-Athen. Dieser Beitrag will zeigen, dass die Atlantis-Erzählung im Kritias an Umfang und Eindrücklichkeit diejenige von Ur-Athen übertrifft und von dem Sprecher Kritias als eine positive Gegen-Utopie zu derjenigen des Sokrates entworfen wird. Gleichzeitig erweist sich Kritias als unzuverlässiger Erzähler, der seine als Tatsachenbericht ausgegebene Geschichte auf arkanes Wissen zurückführt und mehrfach abwandelt. Die Platons Zeitgenossinnen und -genossen naheliegende Identifikation der Dialogfigur Kritias mit dem gleichnamigen Anführer der „Dreißig“, die 404/3 v. Chr. Athen gewaltsam beherrschten, lässt Atlantis, das besonders durch die freie Verfügungsgewalt der zehn atlantischen Könige über das Leben ihrer Untertanen Züge einer kollektiven Tyrannis trägt, als konzeptionelle Vorwegnahme jener historischen Gewaltherrschaft erscheinen. Insgesamt versteht der Beitrag Platons Atlantis-Erzählung als eine Auseinandersetzung mit der Instrumentalisierbarkeit von Utopien.

Die Veranstaltung findet auf Englisch statt.