Habilitationsprojekt: Memorablia. Anekdotisches Erzählen und moralische Instruktion in der kaiserzeitlichen Literatur

Die Anekdote ist, eine kurze, episodische Erzählung. In ihr ist ein Protagonist oder eine Protagonistin mit einer außergewöhnlichen Situation konfrontiert, die am Ende pointiert aufgelöst wird. Sie kommt dem gegenwärtigen literaturwissenschaftlichen Interesse an der Referentialität von Texten entgegen.

Das Projekt bestimmt den Charakter der Anekdote als Form des nicht-linearen Erzählens in der griechisch-römischen Literatur neu. Dazu werden die narrativen Strategien antiker Anekdotenschreiber, die spezifischen inhaltlichen und strukturellen Merkmale ihrer Anekdoten, intertextuelle Bezüge innerhalb der Texte sowie die Reflexionen antiker Schriftsteller über die Wirkung ihrer Anekdoten auf die Lenkung der Leserinnen und Leser untersucht. Den Gegenstand der Arbeit bildet die Memorabilien-Literatur der römischen Kaiserzeit. Diese sind, uns sowohl in lateinischer (Valerius Maximus und Frontinus) als auch in griechischer Sprache (Polyainos und Plutarch) überliefert. Um einen übergeordneten Sinnmoment zu erläutern, heben sie Besodnerheiten ausschnitthaft hervor.

Von zentralem Interesse sind dabei die einleitenden Proömien der Memorabilien. In diesen, formulieren Anekdotenschreiber den didaktischen Anspruch ihrer Sammlungen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den bislang kaum berücksichtigten Interdependenzen zwischen den moralischen Instruktionen der Memorabilien-Literatur und stoischen beziehungsweise (mittel-)platonischen Theorien und Anleitungen zur Affektkontrolle liegen.
DIe Arbeit lässt neue Erkenntnisse zu Formen und Funktionsweisen nicht-linearen Erzählens in der Antike erwarten. Potenzielle Anknüpfungspunkte ergeben sich einerseits zu den literarischen Techniken anderer stark anekdotenhafter Gattungen wie der Naturgeschichte und Fachschriftstellerei. Andererseits verspricht die intertextuelle Untersuchung des didaktischen Anspruchs der Memorabilien-Literatur, eine bislang von der Forschung vernachlässigte Schnittstelle von Rhetorik und Philosophie aus einer neuen Perspektive zu beleuchten.